Am 23.03.2020 ist die „Verordnung zum Schutz vor neuer Infizierung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2“ (Coronaschutzverordnung) im Land Nordrhein-Westfalen um 0:00 Uhr in Kraft getreten, in allen anderen Bundesländer wurden ähnliche Verordnungen erlassen. Die Maßnahme beruht auf einer zwischen den Bundesländern getroffenen Vereinbarung zum weiteren Vorgehen zur Bekämpfung der aktuellen Coronakrise, welche zuvor in Abstimmung mit dem Bund getroffen wurde.
Unabhängig von der Frage, ob die getroffenen Maßnahmen einen effektiven Schutz vor einer weiteren Verbreitung der Infektion ermöglichen, greifen sie in erheblichem Umfang in die Rechte der Bürger ein, denen damit zum Teil bereits die Ausübung ihres Berufs (vorläufig) untersagt wird. So trifft es insbesondere die Gastronomie.
Es gilt § 9 der Coronaschutzverordnung (CoronaSchVO) mit folgenden Wortlaut:
(1) Der Betrieb von Restaurants, Gaststätten, Imbissen, Mensen, Kantinen, Kneipen, Cafés und anderen gastronomischen Einrichtungen ist untersagt. Nicht öffentlich zugängliche Betriebskantinen dürfen zur Versorgung der Beschäftigten betrieben werden, wenn die erforderlichen Vorkehrungen zur Hygiene, zur Steuerung des Zutritts, zur Vermeidung von Warteschlangen und zur Gewährleistung eines Mindestabstands von 1,5 Metern gewährleistet sind.
(2) Abweichend von Absatz 1 sind die Belieferung mit Speisen und Getränken sowie der Außer-Haus-Verkauf durch Restaurants, Gaststätten, Imbisse, Mensen, Cafés und Kantinen zulässig, wenn die zum Schutz vor Infektionen erforderlichen Abstände eingehalten werden. Der Verzehr ist in einem Umkreis von 50 Metern um die gastronomische Einrichtung untersagt.
Hieraus ergeben sich einig Fragen, welche wir kurz beantworten möchten:
Steht die Regelung überhaupt im Einklang mit dem Infektionsschutzgesetz (IfSG), welches als Ermächtigungsgrundlage heranzuziehen ist oder werden nicht nach dem IfSG weitreichendere Maßnahmen angeordnet ?
§ 31 IfSG kann für die Schließung von Gaststätten nicht als Grundlage herangezogen werden. Der Wortlaut von § 31 IfSG ist insoweit eindeutig, als dass hiernach berufliche Betätigungsverbote nur für Personen vorgesehen sind, die zumindest als Verdachtsfälle für Infektionskrankheiten gelten. Nach der aktuellen Rechtsverordnung werden Gaststätten jedoch geschlossen, um die Gefahr einer Ansteckung im laufenden Geschäftsbetrieb zu vermeiden. Das Verbot hat insofern nichts mit einem konkreten Verdachtsfall zu tun.
Die Schließung der Gastronomiebetriebe kann somit nur auf Grundlage von § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG erlassen worden sein als „notwendige Schutzmaßnahme“.
Hinsichtlich der Erforderlichkeit der Maßnahme wird man davon ausgehen können, dass es die hohe Übertragungsgeschwindigkeit und der momentan exponentiell ansteigende Verlauf der Zahlen der Infizierten rechtfertigen dürfte, auch in einem weitläufigeren Gebiet solche Maßnahmen zu ergreifen, unabhängig davon, ob bereits im engeren Umkreis des Gastronomiebetriebs Infizierte oder gar Todesfälle festgestellt werden konnten.
Doch wie verhält sich das Verbot nun im Hinblick auf die in der Verfassung in Artikel 12 GG festgeschriebene Berufsfreiheit?
Fest steht sicherlich, dass die Berufsausübung für die betroffenen Gastronomen nahezu unmöglich sein dürfte (wenn man von der Möglichkeit des „Außer-Haus-Verkauf“ und der Liefermöglichkeiten absieht). Das aktuelle Verbot kommt damit faktisch einem Berufsausübungsverbot gleich. Dies stellt die schwerste Form des Eingriffs in die Berufsfreiheit dar, welcher nur durch den Schutz von Gemeinwohlbelangen von hoher Bedeutung gerechtfertigt werden kann. Nur diese wiegen so schwer, dass sie gegenüber den schutzwürdigen (Individual-) Interessen des Unternehmers an ungehinderter Betätigung den Vorrang verdienen.
Eine solche Situation dürfte im Rahmen der aktuellen Pandemie gegeben sein, da die getroffenen Maßnahmen allein dem Schutz der Bevölkerung vor einer Ausbreitung der Seuche dienen. Zudem wird die Eingriffsintensität in diesem Bereich dadurch verringert, dass die Aufrechterhaltung des Betriebs mittels eines Lieferservices weiterhin möglich ist.
Problematisch könnte hier jedoch die Dauer der Anwendbarkeit der Rechtsverordnung sein, welche nach derzeitigem Stand erst am 20. April 2020 außer Kraft treten soll, also für fast einen Monat Gültigkeit besitzt. Erfahrungen und die Rechtsprechung aus dem Polizei- und Ordnungsrecht zeigen jedoch, dass eine „vorübergehende Maßnahme“ in der Regel auf maximal zwei Wochen ausgelegt sein soll.
Ist die getroffene Regelung ggf. in sich widersprüchlich?
§ 9 Abs. 1 untersagt den Gastronomiebetrieb komplett, Abs. 2 macht hiervon eine Ausnahme dergestalt, dass eine Außer-Haus-Belieferung, sprich ein Lieferservice, weiterhin aufrechterhalten werden darf. Man kann sich sicherlich die Frage stellen, ob das überhaupt möglich ist, wenn eine Gaststätte nicht mehr „betrieben“ werden darf.
Allerdings dürfte die Regelung in Abs. 1 im Lichte von Abs. 2 einschränkend dahingehend auszulegen sein, dass die Formulierung „Betrieb“ den Betrieb einer Gaststätte mit frei zugänglichem Publikumsverkehr meint. Das dürfte sich schon allein aus Abs. 1 selbst ergeben, der eine Ausnahme für nicht öffentlich zugängliche Betriebskantinen macht. Insofern darf eine Gaststätte, die einen Lieferservice anbietet, weiterhin Arbeiten in der Küche vornehmen, um die Nachfragen per Telefon oder E-Mail abarbeiten zu können.
Für den Fall jedoch, dass z.B. bei einem der Mitarbeiter in der Küche ein Infektionsverdachtsfall auftritt, kann die zuständige Behörde wiederum ein Tätigkeitsverbot für die betroffene Person sowie die Kontaktpersonen nach § 31 IfSG aussprechen.
Bei Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung!